Es war ein lauschiger Abend. Der Babybruder schlief mehr oder weniger friedlich. Wir waren unten im Hof zusammen gekommen, um den Geburtstag des Papas zu feiern. Doch so richtig geniessen konnte ich das Zusammensein nicht. Ich starrte andauernd auf das Babyphone, wollte auf keinen Fall, dass der Kleine schreiend aufwachte und ihn niemand hören würde.
„Bei deinem zweiten Kind bist du so eine Glucke geworden!“ Bäääääähm. Zack. Da war er, ein riesengrosser Vorwurf von seitens einer kinderlosen Bekannten (ja, ich habe ihr gesagt, dass ich darüber schreiben werde). Zuerst wusste ich gar nicht, was ich erwidern sollte. Nie im Leben hätte ich mich als Glucke bezeichnet.
Also fragte ich nach, was sie denn damit meinte? „Halt das Stillen, dass er immer noch bei euch im Zimmer schläft und dann das Tragen. Da übertreibst du es wirklich. Ich meine, du hast gesagt, dass es sich falsch anfühle, ihn in den Kinderwagen zu legen. Als würde ihn das stören..“
Ich glabue, eine wirklich schlaue Antwort hatte ich nicht. Ich sagte dann wohl noch was von wegen: „Aber hey, ich arbeite ja schon wieder. Eine Glucke könnte ihr Kinder niemals abgeben…“ Aber so richtig zufrieden war ich mit der Antwort nicht. Diese Aussage beschäftigte mich noch lange. Ich betrieb Recherchen zum Gluckentum, betrieb Selbstreflexion und sprach mit anderen Mama-Freundinnen darüber.
Bedürfnisorientiert = Glucke?
Zuerst mal, wieso mich der Ausdruck (zu Recht) störte. Auf Wikipedia erfuhr ich, dass „glucken“ der Prozess des Ausbrütens beim Huhn ist und im übertragenen Sinn soviel bedeutet wie „untätig, stumpfsinnig dasitzen“. Also das tue ich definitiv nicht. Im Gegenteil: mit zwei Kindern bin ich die ganze Zeit auf den Beinen, wir sind viel unterwegs und schaffen tolle Erinnerungen zusammen. Und ausbrüten muss ich den Babybruder auch nicht mehr. Das habe ich im vergangenen, viel zu heissen, Sommer getan.
Was ich aber definitiv tue: Ich behalte den Kleinen meist nahe bei mir. Stillen, Tragen, Familienbett – alles Dinge, die Nähe schaffen. Ich glaube aber, diese Nähe hat wenig mit Gluckentum, als mehr mit unseren Bedürfnissen zu tun. Der Babybruder brauchte schon immer sehr viel Nähe. Schon im Spital weigerte er sich, in seinem Bettchen zu schlafen. Richtig wohl war ihm nur auf meinem Bauch. Also habe ich ihn schon am zweiten Tag ins Tuch gepackt und liess ihn auf mir schlafen. Seine Schwester war da ganz anders: die konnte man einfach irgendwo hinlegen und sie schlief oder gluckste vor sich hin.
Auch meine Bedürfnisse sind wichtig
Gleichzeitig weiss ich, dass der Kleine mein letztes Baby sein wird. Ich versuche also, diese magische Babyzeit, so gut wie möglich zu geniessen. Und zwar, in dem er bei mir ist, ich ihn knuddle, seine Hand halte, ihm unzählige Küsse gebe. Ich befriedige also auch mein Bedürfnis nach Nähe, nach Babyatem, nach Patschehändchen.
Ja, ich gebe zu, ich gebe ihn meiner Verwandtschaft nicht so oft zum Halten, wie ich es noch mit C. tat. Ich bin der stärkeren Überzeugung, dass er mich braucht, wenn er unglücklich ist. Mich, seine Mama. Ist das egoistisch? Ja, vielleicht ein wenig. Aber ich will mein Baby geniessen. Ich weiss, dass unsere Kinder viel zu schnell gross werden. Und schliesslich bin ich die, die den Babybruder in einem mühsamen Prozess ausgebrütet hat. Die die Nächte mit ihm durchtanzt und ihn tagelang trägt, wenn er krank ist oder die Zähne drücken.
Ich bin es niemandem schuldig, mein Baby für ein bisschen Oxytocin, auch Kuschelhormon genannt, auszuleihen. Muss niemandem Rechenschaft ablegen, dass ich als Mama das mache, was das Beste für ihn ist. Sollen sie doch selber Kinder haben und diese so erziehen, wie es für sie stimmt. Und bis dahin, bin ich in ihren Augen liebend gerne eine Glucke.
Übrigens: für ganz unersetzbar halte ich mich dann doch nicht. Ich gebe den Babybruder jederzeit, mit Freude und gutem Gewissen, an seinen Papa hat. Auch der hat den Kleinen schliesslich verdient.