Home Home Chronik einer langen Bahnreise mit Kleinkind

Chronik einer langen Bahnreise mit Kleinkind

by Jerome

1h05min fliegen, oder 7h den Zug nehmen? Für mich war der Fall klar. Kleinbub und der Papa fahren mit der Bahn nach Venedig (und von dort noch etwas weiter an den Strand von Lignano Sabbiadoro). Kein Stress am Flughafen und erst noch ganz viel Co2 gespart. Und ÖV sind wir uns ja schliesslich gewohnt, wir haben ja kein Auto. Doch ganz so entspannt war es dann doch nicht. Hier das Protokoll einer langen Zugfahrt mit Kleinkind.:

Wer schon einmal internationale Zugreisen bei der SBB gebucht hat, weiss wie mühsam das ist. Da ein Kleinkind noch kein eigenes Ticket braucht, ist es online auch nicht möglich einen Sitzplatz zu reservieren. Die braucht man aber in Italien. Die Chance bestand also, dass wir uns für die ganzen 7h hin und dann auch wieder zurück einen Sitzplatz in einem überfüllten Zug teilen müssten.

Zürich – Venedig in sechs Stunden und 57 Minuten

Zürich: kurz nach 07h00
Wir sind viel zu früh aufgewacht und Kleinbub wollte sofort los in Richtung „Bitalien“ – so nennt er Italien. Wir sind also mehr als eine halbe Stunde zu früh am Hauptbahnhof. Snacks brauchen wir auch keine mehr, der Proviant ist gepackt. Glücklicherweise ist der Eurcity Zürich – Venedig schon hier. Und glücklicherweise ist es ein topmoderner SBB Zug. Und glücklicherweise haben wir uns ein 1. Klasse Ticket gegönnt. Und so war der Sitzplatz neben meinem tatsächlich von niemand anderem reserviert und wir konnten uns gemütlich einrichten.

Zürich: 07h33
Wir fahren auf die Minute pünktlich ab. Kleinbub vermisst plötzlich die Mama. Dann hat er Hunger. Das grüne Minipic möchte er aber nicht essen, das wäre für den grossen Bruder. Weil der isst ja immer die Minipics in der grünen Verpackung zuerst. Wir verlassen den Bahnhof und winken Zürich auf Wiedersehen.

Zug: 08h00
Wir sehen den schönen See. Er möchte Baden. Dann die Rigi mit etwas Schnee. Er möchte Skifahren. Ausserdem wären wir jetzt eh genug Bahn gefahren. Er möchte aussteigen. Noch sieben Stunden und dreissig Minuten…

Arth Goldau: 08h18
Der Tierpark ist kein Thema, dafür die Güterzüge. Er verwickelt mich in eine Diskussion über Züge, der ich nur halb folgen kann. Der Kondukteur hat KEIN Kinderbillet. Die Lage ist dramatisch.

Brunnen: gegen 08h30
Ich bestaune den wunderschönen Urnersee und erzähle von unserem Ausflug zum Tatort Tell im letzten Sommer. Das findet er doof.

Erstfeld: ca 08h45
Wir sind in Erstfeld. Ich verspreche eine epische Fahrt durch einen der längsten Tunnel der Welt. Doch es passiert nichts. Unser Zug wird über die Bergstrecke umgeleitet.

Gotthard Bergstrecke: ca 9h15
Kein langer Tunnel, eine Stunde mehr Fahrt, dafür schöne Aussicht. Beeindruckt ihn mässig. Er ist müde und möchte aussteigen. Und endlich in Italien im Meer baden!

Direkt nach dem Gotthard Tunnel: ca 09h45
2 von 3 WC in der ersten Klasse sind kaputt- wir müssen lange warten…

Lugano: 10h28
Es regnet. Uns ist langweilig. Die Büchlein die ich mitgenommen habe interessieren ihn gerade nicht. Ich gebe auf und zücke das Tablet. Er ist happy. Neues Bahnpersonal. Eines der WCs wird repariert, aber ein Kinderbillet gibt es leider auch jetzt nicht. Dafür finden wir Maiswaffeln im Rucksack. Das Leben ist gut.

Chiasso: 11h00
Die Grenze! Wir sind in Bitalien! Die Guardia Finanza läuft durch den Zug, ignoriert uns aber. Wir scheinen kein Bargeld zu schmuggeln. Nur Maiswaffeln. Diese lösen sich langsam im Orangina auf…
Zum Glück habe ich ganz viele Serien auf Netflix heruntergeladen. Keine Roaming-Probleme.

Zwischen Como und Mailand: 11h30
Wir fahren durch die tristen industriellen Vororte von Milano. Schön ist das nicht, doch Kleinbub ist begeistert! Wir sind in Bitalien. Hier ist eh alles viel schöner! Dann sind aber Grizzly und die Lemminge auf dem Tablet wieder spannender. Ich frage mich, wann genug Screentime ist. Man sagt ja „Keine Bildschirmzeit unter 3 Jahren!“. Aber er ist ja schon fast 3. Und es sind Ferien. Und überhaupt.

Mailand: 12h05
Wir sind pünktlich in Mailand. Er packt seinen Rucksack und möchte aussteigen. Sind wir jetzt da? Leider nein. Noch zwei Stunden und dreissig Minuten.

Eine Kollegin schreibt mir auf Insta, dass ich Glück hätte, weil immer wieder Züge ausfallen würden auf dieser Strecke. Sie wären damals auf dem Rückweg gestrandet. Ich habe etwas Panik und installiere präventiv mal die Trenitalia App und hinterlege meine Kreditkarte. Sicher ist sicher.

Brescia: 13h00
Die Landschaft immer gleich – Industrie wechselt mit Landwirtschaft.
Das Kleinkind wechselt zwischen Büchlein und Tablet sowie zwischen Tuc & Goldfischli. Zwischendurch versuchen wir mal zu schlafen, aber das wird nichts. Und auch Trenitalia hat kein Kinderbillet.

Peschiera del Garda: 13h15
Ist das der Gardasee dort am Horizont? Ich glaube schon. Wir sind beide sehr müde.

Vicenza bis Padova: ca 14h00
Sind wir bald da? Die Zeit dehnt sich ins unendliche. Hätten wir doch das Flugzeug nehmen sollen? Hoffentlich finden wir den Transfer in Mestre.

Padova: 14h14
Und warum um alles in der Welt steigen wir 12 Minuten vor Venedig aus und fahren nicht gleich weiter? Wann war ich das letztes Mal in Venedig? Das war doch 1999? Mit dem Nachtzug und einigen Flaschen Martini. Oder war das Barcelona?

Venezia Mestre: 14h30
Wir sind auf die Minute pünktlich. Wir packen unsere Sachen und steigen aus.

Foto: Elena Paschinger

Man sagt ja so schön. Der Weg ist das Ziel. Und ja, es war eine schöne, entschleunigende Erfahrung. Kleinbub fragt jetzt bei jedem Schnellzug den er sieht, ob der nach Bitalien fährt. Ich nicke meist nur und murmle „Vielleicht…“

PS: Die Rückfahrt hat wieder perfekt geklappt.

You may also like

Leave a Comment

Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst du dich mit der Speicherung und Verarbeitung deiner Daten durch diese Website einverstanden.