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Willkommen in der Wackelzahnpubertät!

by Deborah

Eines Abends, es ist noch nicht lange her, am Tisch der Familie L.: „Ihr verstört mein Leben!“, platzt es aus C. heraus. Und so süss dieser Versprecher auch ist, dass wir ihn sicher nicht korrigieren werden, so sehr waren wir auch ab dieser Aussage erstaunt. Wir wussten ja schon, dass wir irgendwann als Lebenszerstörer, respektive -verstörer, bezeichnet werden würden. Nur hatten wir erst ungefähr in sechs Jahren damit gerechnet. Oder vielleicht auch in vier, wenn dann die Prä-Pubertät einsetzt. Aber nicht, dass uns diese Aussage aufgrund unserer Bitte, das Hörspiel doch bitte für die Dauer des Abendessens abzustellen, um die Ohren gehauen würde. Die 6-Jahres-Krise, respektive die Wackelzahnpubertät hatten wir nicht auf dem Schirm.

Das war ein Fehler. Denn C.s Zähne wackeln gerade wie verrückt. Das Kind will sich – wie auch mit vielen anderen Dingen – so gar keine Zeit mit dem Zahnwechsel lassen. Drei Zähne sind draussen, weitere drei weitere wackeln. C. beschränkt ihre Nahrungsaufnahme im Moment auf Weiches, Flüssiges oder sehr Kleingeschnittenes. Sie ist wahnsinnig stolz auf ihre Zahnlücken. Tatsächlich sind diese im Kindergarten Statussymbol, C. wurde in die Reihen der Grossen aufgenommen und benimmt sich nun auch so.

Autonomie vs. Nähe in der Wackelzahnpubertät

Das bedeutet, dass C. uns gerade mit einer ungeahnten Selbstständigkeit überrascht. War sie noch vor einem Jahr ein Mädchen, das wahnsinnig gerne an ihren Eltern klebte und sich kaum etwas traute, alleine zu machen, heisst es nun immer: „Das kann ich doch alleine!“ Egal, ob man sich ein Glacé inmitten einer johlenden Menge angeheiterter Fussballspieler kaufen gehen will oder gemeinsam mit einer Horde grosser präpubertärer Jungs auf die Wasserrutsche. C. sagt, sie wolle dies alleine machen und zieht es durch – ohne nur einmal mit der Wimper zu zucken.

Diese Autonomie fordert aber auch ihren Tribut. C. ist so sensibel und nähebedürftig wie schon lange nicht mehr. Was wohl auch sehr typisch für die Wackelzahnpubertät ist. Täglich stellt sie sich die grossen Fragen des Lebens: „Wo war ich, bevor ich auf dieser Welt war? Und wohin gehe ich danach? Ist Gott in jedem von uns zu finden? Auch in einer Raupe?“ Das verunsichert. Und macht, dass unser Mädchen nicht nur ein grosses Autonomie-, sondern auch ein riesiges Nähebedürfnis hat. Dies zeigt sich in regelmässigen unerwarteten Kuschelattacken. Und in der Tatsache, dass man es manchmal wahnsinnig geniesst, wieder ein kleines Kind zu sein. Sei es dabei, plötzlich wieder im Familienbett zu schlafen oder morgens vor dem Kindergarten so zu tun, als könne man Jacke und Schuhe nicht mehr alleine anziehen.

Grenzen neu definieren

Ebenfalls werden Grenzen neu verhandelt, etablierte Regeln innerhalb der Familie in Frage gestellt. Weshalb auch Gemüse und Früchte essen, die Jacke aufhängen oder rechtzeitig ins Bett gehen statt Frozen 2 fertig zu schauen? Das sei doch ihr Körper, darüber können sie selbst entscheiden, findet die noch nicht mal Sechsjährige. Und wenn die Eltern dann anderer Meinung sind, folgen Wutausbrüche, die Ihresgleichen suchen: „Ihr zwingt mich immer zu allem!“ „Ihr Seegurken, ihr erpresst mich!“ „Ihr üblen Verräter ihr!“, sind nur einige der Dinge, die wir uns zur Zeit anhören dürfen. Zum Glück gibt es im Kindergarten eine Liste mit roten, ergo verbotenen, Schimpfwörtern, welche auch zu Hause (noch) akzeptiert wird…

Ihr verstört mein Leben!

Die Wackelzahnpubertät ist ein sehr fordernder Lebensabschnitt für Eltern und Kind. Und doch würde ich keine Sekunde davon missen wollen. Ich freue mich ab der Diskussionen, die intellektuell plötzlich auf einem ganz anderen Niveau stattfinden. Bewundere mein Kind für seinen unerwarteten Mut. Geniesse die vielen Kuscheleinheiten und die Tatsache, dass ich meinem achso grossen Kind doch nochmal ganz viel Sicherheit geben darf. Selbst die Wutausbrüche sehe ich als Herausforderung, an meinem eigenen Konfliktmanagement zu arbeiten. Willkommen in der wunderschönen, aber anstregenden Wackelzahnpubertät!

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